Die Universität der Vereinten Nationen (UNU)

von Dr. Sabine Becker-Thierry, UNU, Tokio

September 2022

 

Ein Think Tank innerhalb der Vereinten Nationen

Im 12. Stock eines markanten 14-stöckigen Gebäudes, inmitten des lebhaften Stadtteils Shibuya im Herzen Tokios, befindet sich der Hauptsitz der Universität der Vereinten Nationen (UNU). Das Gebäude beherbergt auch ein UNU-Forschungsinstitut (UNU-IAS), diverse Konferenzräume sowie die Japan-Büros von zehn weiteren VN-Agenturen.

 

Als Forschungsarm der Vereinten Nationen (VN) schlägt die UNU eine Brücke zwischen Forschung und VN-System. Die Bezeichnung „Universität“ ist allerdings nicht wirklich treffend: Zwar unterhält sie eine Handvoll Master- und Doktorandenprogramme in enger Zusammenarbeit mit renommierten Partner-Universitäten, doch die UNU sieht sich vielmehr als VN Think Tank, der angewandte Forschung zu globalen Fragen vorantreibt und dabei vor allem junge Forschende aus dem globalen Süden fördert.


Seit ihrer Gründung 1972 ist die UNU zu einem Netzwerk von 13 Forschungsinstituten in zwölf Ländern gewachsen, das weltweit zahlreiche Projekte unterhält, die eine Bandbreite von Themen abdecken – von sozioökonomischer Entwicklung über Klimawandel, globale Gesundheit, e-Governance und künstliche Intelligenz sowie Friedens- und Sicherheitsthemen. Eine Liste aller Institute ist auf der UNU-Webseite https://unu.edu/about/unu-system zu finden. Die UNU profitiert von akademischer Freiheit und konzentriert sich darauf, mit globaler Forschung politische Akteure und deren Entscheidungen innerhalb und außerhalb der VN zu beeinflussen.

Aussenansicht UNU-Gebäude in Tokio
Lobby UNU-Gebäude in Tokio

Außenansicht und Lobby des UNU-Headquarter-Gebäudes in Tokio (Architekt: Kenzo Tange)

 

Neben den 50 Mitarbeitenden am Hauptsitz in der japanischen Hauptstadt umfasst die UNU über 750 Mitarbeitende, davon ca. 400 aktive Forscher/-innen und Akademiker/-innen. 55 Prozent der Mitarbeitenden sind Frauen und, dank eines effektiven Gender Action Plans, zieht sich dieses Bild quer durch die Arbeitsbereiche und Hierarchien. Auch der UNU-Council und die Advisory Boards sind mittlerweile mehrheitlich von Frauen besetzt.


Die UNU wird durch freiwillige Beiträge von Regierungen, Agenturen, Stiftungen und einzelnen Spender/-innen finanziert und verfügt über einen Endowment Fund. Dies sichert ihre Grundfinanzierung; darüber hinaus müssen die einzelnen Institute jedoch Drittmittel einwerben, um nennenswerte Forschungsprojekte umsetzen zu können und zusätzliche Expertise einzubringen, oft gemeinsam mit anderen UNU-Instituten oder Forschungsinstitutionen außerhalb des VN-Systems. Dank dieses Finanzierungssystems und eines Budgets von ca. 125 Millionen USD zu Beginn des 2022-2023-Bienniums ist die Universität nicht direkt an die Interessen von Mitgliedsländern gebunden.

 

In Deutschland unterhält die UNU zwei Institute, die in Bonn und Dresden angesiedelt sind. Sie arbeiten jeweils eng mit der Universität Bonn und der Technischen Universität Dresden zusammen und nutzen vielseitige Partnerschaften mit Forschungseinrichtungen, Entwicklungsagenturen, NGOs sowie dem Privatsektor:

  • UNU-EHS, in Bonn, konzentriert sich auf Risiken und Anpassung im Zusammenhang mit Umweltgefahren und globalen Veränderungen. Die Forschung des Instituts fördert Strategien und Programme zur Verringerung dieser Risiken unter Berücksichtigung des Zusammenspiels von Umwelt- und Gesellschaftsfaktoren. Das Institut ist zudem an das Vize-Rektorat der UNU gekoppelt, das den Rektor bei der Koordinierung der UNU-Institute und Kooperation mit dem VN-System v.a. in Deutschland und Europa unterstützt.
  • UNU-FLORES, in Dresden, arbeitet zur nachhaltigen Nutzung und integrierten Bewirtschaftung von Umweltressourcen v.a. in Entwicklungs- und Schwellenländern. Mit dem „Resource Nexus“ fördert das Institut einen integrierten Ansatz für nachhaltige Bewirtschaftung.

 

Seit 2013 leitet David Malone die UNU als Rektor. Geprägt von seiner Erfahrung als Akademiker und Diplomat hat Malone während seiner gesamten Amtszeit die Bedeutung von policy-relevant research betont und die Arbeit der UNU in diese Richtung verstärkt, was z.T. zu einer engeren Zusammenarbeit mit dem Büro des VN-Generalsekretärs, mit VN-Schwesteragenturen und VN-Mitgliedsstaaten geführt hat. Als Rektor nimmt er auch am Chief Executives Board (CEB) der VN teil, was es der UNU ermöglicht zu sehen, wo ihre Forschung nützlich sein kann.

 

Die Arbeit der UNU ist geprägt von der Common Agenda und den Sustainable Development Goals, ist dabei aber nicht an Weisungen des Sekretariats gebunden. Vielmehr gestalten das UNU-eigene Governing Board (UNU Council), die jeweiligen Instituts-Boards, die Region und das Land, in dem das jeweilige Institut ansässig ist, sowie die Expertise der Institutsdirektor/-innen und deren Wissenschaftler/-innen die Forschung. Jedes Institut hat in der Regel ein breites Hauptforschungsthema, wie z.B. globale Gesundheit oder sozioökonomische Entwicklung; gleichzeitig ermöglichen diese Schwerpunkte interdisziplinäre Projekte, an denen sich mehrere UNU-Institute beteiligen. (Für mehr Details: Jahresbericht 2021 und UNU-Website)

 

Diese Breite und Flexibilität sind es auch, die es der UNU ermöglichen, einerseits Forschung für die VN zu betreiben und andererseits das VN-System kritisch zu hinterfragen. So haben einige UNU-Arbeiten, zum Beispiel von UNU-CPR in New York, die Untersuchung „selbstverschuldeter“ Probleme der VN im Visier: in den Bereichen Friedenssicherung und humanitäre Maßnahmen sowie die Rolle des Sicherheitsrates. Andere Arbeiten befassten sich damit, was bei der von UN-Koordinator/-innen geleiteten Konfliktprävention funktioniert, oder untersuchten die Legitimität von UN-Sanktionen.

 

Meist erfolgt die Arbeit der UNU fern der Medien. Die UNU arbeitet jedoch daran, ihre Vision und Mission zu überprüfen, ihre Marke zu vereinheitlichen und den wissenschaftlichen Austausch zwischen dem globalen Süden und Norden verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

 

Insgesamt bleibt die Mission der UNU eng mit der ursprünglichen Idee des ehemaligen VN-Generalsekretärs U Thant aus dem Jahr 1969 verbunden, der meinte, dass das System nicht besonders gut darin sei, Wissen zu erwerben oder Wissen für Entscheidungen zu nutzen. Heutzutage ist dieser Wissenserwerb – man sei nur an die Klima- und Energiekrisen erinnert – wichtiger denn je.


 

Dr. Sabine Becker-Thierry arbeitet seit 2017 bei der UNU in Tokio. Als Executive Officer ist sie die direkte Beraterin des Rektors und unterstützt ihn im Management des UNU-Systems.

Kontakt: .

Sabine Becker-Thierry, UNU